"Je m'appelle David, et je suis le skipper sur le voilier Madéo!"

Die Madéo schaukelt weiter draußen im flachen Wasser. Unsere Vorräte schaffen wir mit dem kleinen Dingi raus, drei Personen und ein paar Kilo Nudeln passen grade rein, dazu unsere Taschen, die Flossen und Taucherbrillen, Sonnencreme, Rum und ein Päckchen Zigaretten. Viel mehr haben wir nicht dabei, mehr als Badesachen und Handtuch werden wir auch nicht brauchen. Vielleicht noch ein T-Shirt. David holt uns am Pier ab, er ist unser Skipper die nächsten Tage.

Wir müssen ein paarmal fahren, dann sind alle fünf an Bord. David und wir vier Leichtmatrosen. Den Baguettevorrat haben wir an Land liegen lassen, aber was soll's, Nudeln tun's auch, denn Weltumsegler sind genügsam und einfallsreich in der Combüse mit dem was ihnen zur Verfügung steht.

David hisst die Segel, hebt den Anker und die Erste von uns Landratten steuert das Schiff aus der Bucht, während er die Segel richtet. Noch bevor wir aus der Bucht sind ist er einer von uns. Bis zur ersten Landzunge hilft uns noch der eingebaute Motor, damit wir schneller in den Wind kommen. Dann geht es nur mit Windkraft weiter. Wir kreuzen aus der Bucht heraus.

David will uns etwas zeigen: ein kleiner Einschnitt zwischen zwei Inseln, dort vertäut er das Boot an eine Boje. Ganz in der Nähe wird das Wasser so flach, dass man darin sitzen kann. Wir sind nicht die einzigen hier, andere haben sich dort schon gemütlich gemacht, ein paar Motorboote dümpeln auf dem Wasser. Uns nimmt er im Dingi aber mit auf die nächste Insel, die Îlet Chancel, dort leben Iguanas in den Ruinen einer alten Fabrik.

Zurück auf der Madéo verstauen wir unsere Siebensachen, als nächstes geht es aufs offene Meer. An der Küste entlang werden wir nach Norden segeln. Der Nächste von uns ist dran, die Madéo braucht einen Rudergänger. David macht es uns aber auch leicht, mit seiner entspannten Art, er strahlt eine Ruhe aus, die auf uns übergreift. Schon längst fühlen wir uns wohl und sind ganz im caribbean mood angekommen.

An der Insel Petit Piton wenden wir unter vollen Segeln nach Norden. Unser heutiges Ziel ist eine stille Bucht in der Halbinsel weiter nördlich, ganz in der Nähe vom Leuchtturm, dort werden wir übernachten. Man merkt David all die Jahre auf dem Wasser an... Warum muss diese Leine noch etwas gespannt werden, das Segel noch ein wenig mehr gedreht...? Er hat es im Gefühl. Dabei lässt er uns an den Manövern teilhaben, er zeigt uns wie man die Segel refft, das Schiff steuert, und bei dem Auf und Ab das Gleichgewicht hält.

Das Schiff ist leichter zu steuern als man denkt; bereitwillig, wenn auch ein wenig träge reagiert es auf jede noch so kleine Drehung am großen Steuerrad. Der Wind steht günstig, wir neigen uns mal mehr, mal weniger stark zur Seite, machen gute Fahrt. Mehr als eine Hand voll Knoten sind dabei nicht drin, wir fliegen nicht grade über das Wasser, aber dafür spürt man die Elemente. Jeder Wellenkamm wird erklommen, dann driften wir auf der anderen Seite wieder herab, am Steuer kann man das Rollen etwas ausgleichen, dabei pfeift einem der Wind um die Nase. Auf dem Wasser sind wir nicht die Einzigen. Immer wieder begegnen uns andere Segler.

Gut zwei Stunden später sind wir angekommen. David übernimmt, denn wir müssen den Weg zwischen den scharfkantigen Riffen hindurch finden, damit wir im ruhigen Wasser dahinter für die Nacht ankern können. Wir sind beeindruckt wie sicher und selbstverständlich er zwischen den Unterwasserhindernissen hindurchsteuert, einer Wasserstraße nach, die nur er sieht. Dann sind wir am Ziel. Mitten in der Bucht fällt der Anker, die Madéo rollt nur noch ganz leicht im ruhigen Wasser. Die Segel werden gerefft, und wir genießen den Sprung ins kühle Wasser. Unsere einzigen Nachbarn ankern nebenan, viel werden wir von ihnen nicht sehen, am nächsten Morgen werden sie schon weg sein, wenn wir aufstehen. Wir sind so gut wie allein in der Bucht.

Nach der ersten Abkühlung können wir wieder unter Deck. Innen ist die Madéo fast wie ein großer Wohnwagen, aber irgendwie doch nicht; die Wände sind sanft geschwungen, in einer Ecke hängt eine Uhr und ein Hygrometer, beide haben bereits etwas Patina angesetzt, sympathischerweise sieht man ihnen die Jahre in der Salzluft an, auch wenn alles blitzblank sauber und gepflegt ist. Durch die Luken glitzert türkises Wasser und die grüne Insel herein.

Zeit zum Entspannen, Schwimmen, an Deck in der Sonne liegen, oder um zur Insel rüber zu schwimmen und im Sand eine alte verrostete Kanone zu finden. Wir gönnen uns unseren ersten Rum.

Später ist Zeit fürs Abendessen. Wir haben auch eine kleine Combüse in einer Ecke. Es gibt natürlich Nudeln mit einer improvisierten Soße.

Wir sitzen noch zusammen, langsam wandert die Sonne dem Horizont entgegen. David hat so viele Geschichten zu erzählen. Wie er haarscharf von zwei Wasserhosen verschont wurde, als ihm auf der Flucht vor ihnen das Hauptsegel gerissen ist. Von Möven, die in Deckung hinter dem Mast im Wind standen und ihn stundenlang begleitet haben,... Wir hören Geschichten über seine Reisen auf dem Wasser, die Atlantiküberquerung in der Madéo und noch viele mehr. David ist eigentlich Bretone, das kleine schwarzweiße Wappen am Steuerrad zeugt davon. Madéo ist auch ein bretonisches Wort, es heißt so viel wie "Auf geht's, alles ist gut!". David ist praktisch auf dem Wasser geboren. Außerdem ist er ein Tausendsassa, kann Maschinen reparieren, mit Flaschen tauchen und unterwasser arbeiten,... Wenn man ein Boot in Stand halten will, kommen einem auch alle handwerklichen Begabungen zugute, die man sich vorstellen kann.

Wir sitzen noch lange und reden über Gott und die Welt. Bald kommt der Sonnenuntergang. Jeder hängt seinen Gedanken nach, genießt den Moment. Als es dunkel geworden ist, dreht der Lichtfinger des Leuchtturms seine Runden über uns.

Am nächsten Morgen wachen wir früh auf. Die Nacht war erholsam. Irgendwann hatten wir uns auch an das Geschaukel gewöhnt und sind eingeschlafen. Mitten in der Nacht wurden wir vom Wasser geweckt, der angekündigte Regen war da. An Deck hätten wir also wirklich nicht gut geschlafen, so schließen wir im Halbschlaf nur die Luken und träumen weiter. Den neuen Tag beginnen wir mit einem grandiosen Frühstück unter der Takelage, mit Kaffee und Pfannkuchen! Von Regen keine Spur mehr, die Sonne strahlt schon auf uns herunter!

Es ist noch Zeit für einen letzten Sprung von der Bordkante, dann machen wir die Madéo wieder fertig für die offene See.

Wir segeln wieder Richtung Süden, das Ziel ist eine kleine namenlose Insel direkt neben der Îlet Oscar. Die Madéo liegt schräg im Wasser und kämpft sich brav Welle um Welle nach Süden, und wir mit ihr. Unsere Haut ist inzwischen von einer dicken Salzschicht bedeckt, der Wind bläst uns unsere stränigen Haare um die Ohren.

Am Ziel angekommen werden die Segel gerefft, der Anker fällt, und wir genießen wieder einmal den Sprung ins Meer. Wir sind an einem traumhaften Ort gelandet, David weiß mal wieder den perfekten Platz um zu ankern, das Wasser schimmert türkis, die Îlet Oscar ist nicht weit entfernt, verdeckt die namenlose Insel hinter sich, die Sonne scheint vom blauen Himmel herab. Aus der Anlage kommt Moby - Porcelain... Wir sind auf der Reise angekommen.

Später setzt uns David mit dem Dingi auf der namenlosen Insel am Strand ab; es tut gut mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, der Sand ist warm, das Wasser auch und wir genießen ein wenig Ruhe. Kurz bevor uns David abholen kommt sammeln sich immer mehr Boote am Strand. Lauter Weiße, Familien, Kinder und Jugendliche. Wie auf Kommando sind sie hier aufgetaucht. Man kennt sich wie es scheint, und trifft sich zu einer Art Barbecue auf dem Wasser. Die unbeholfenen Annäherungsversuche einer egozentrischen älteren Dame und eines sehr von sich überzeugten jungen Kerls lassen uns kopfschüttelnd zurück.

Später werden wir erfahren, das sind die sogenannten Béké, reiche Weiße, angeblich die Nachkommen der ersten weißen Siedler auf den karibischen Inseln. So oder so ist es auf Martinique der Begriff für die reichsten Familien, die die Insel wirtschaftlich kontrollieren, Preise diktieren, und über das Wohl und Wehe aller größeren Unternehmen bestimmen. Als eine große französische Supermarktkette versucht haben soll, auf der Insel Fuß zu fassen und die Einheimischen mit attraktiveren Preisen anzulocken, soll das Zentrallager aus ungeklärter Ursache angeblich nicht beliefert worden sein, so sagt man. Die Kette hat seine gerade eröffneten Filialen wieder schließen müssen. Diese und andere Geschichten kann man erfahren, wenn man nachfragt. Gerne redet keiner drüber auf Martinique, es ist ein unleidliches Thema, besonders für die Kreolen. Man hat bereits versucht die Macht der Béké zu brechen, vor ein paar Jahren hat das alles zu wochenlangen Zentralstreiks geführt, die die gesamt Insel lahmgelegt haben. Kein Benzin, rationierte Nahrungsmittel... Hier haben die Béké allerdings den längeren Atem bewiesen, sie haben sich halten können. Ganz im Gegensatz zu Guadeloupe. Dort ist man stolz darauf, die Béké rausgeschmissen zu haben. Wie eng Vergangenheit und Gegenwart miteinander zusammenhängen, sieht man nicht nur an den Kritzeleien und Zeichnungen von Sklavengaleeren, die man in den Ruinen der Anwesen auf der Îlet Chancel immer noch finden kann...

Wir lichten ein letztes Mal den Anker, David manövriert uns wieder mit sicherer Hand an den Riffen vorbei aufs offene Meer. Es geht Richtung Norden, unser Segeltrip geht dem Ende zu, in ein paar Stunden werden wir wieder dort zurück sein, von wo wir aufgebrochen sind. Mit David könnten wir noch weiter segeln, eine längere Tour machen, Abenteuer erleben. Man hat das Gefühl, er lebt seinen Traum, hat den Mut und einen Weg gefunden mit seiner Lebensgefährtin ein ungebundenes, freies Leben zu führen, sich nicht vom Alltag anbinden zu lassen und seine Visionen in die Tagträume zu verdrängen. Und dabei ist er entspannt geblieben, hat sich nicht selbst verloren, auf der Suche nach der Freiheit. Vielleicht weil er mit seiner Frau bereits in seinem Alltag angekommen ist - immer mit Blick aufs Meer und den Horizont.