Genau einen Monat ist es nun her, das Lichtfest in Leipzig am 9. Oktober 2015. Nach offiziellen Zahlen waren unbeschreibliche fünfundzwanzigtausend Menschen gekommen. Das Motto hieß "Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit?", in Erinnerung an den 9. Oktober 1989.

Damals hatten Tausende die Ringstraße in Leipzig gefüllt und mit den Rufen "Keine Gewalt!", "Auf die Straße!" und "Wir sind das Volk!" für Veränderungen in der DDR demonstriert, gegen die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte, besonders der Meinungs- und Reisefreiheit, gegen die staatliche Gewalt und die Stasi und gegen die herrschenden Politiker. Der 9. Oktober 1989 war der Wendepunkt in der Zeit der immer lauter und immer stärker werdenden Proteste. Genau einen Monat später, am 9. November 1989, sollte das Unmögliche möglich werden, die Mauer fiel. Knapp ein Jahr später, am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt.

Deutschland hat sich seitdem sicher verändert, und am 26. Jahrestag der Demonstrationen stehen nicht nur viele der damaligen Demonstranten wieder auf dem Augustusplatz, sonder auch viele Andere: junge Menschen, die damals noch nicht einmal geboren waren ebenso wie Zugezogene, Zugewanderte und Eingebürgerte. Trotzdem sind alle gekommen weil sie für die selben Ideale, für die damals so friedlich und wirkungsvoll gekämpft wurde ein Zeichen setzen wollen, gegen das Vergessen und vor allem gegen die Selbstverständlichkeit, mit der man diese Errungenschaften heute sehen könnte.

Ich habe all diese Ereignisse nur als Kleinkind selbst miterlebt, daher kann ich nicht sagen ich hätte wirkliche Erinnerungen an das Selbstbewusstsein und den Mut der Menschen und an die Stimmung vor sechsundzwanzig Jahren. Abgesehen von einzelnen Ausnahmemomenten wie vielleicht den Fußballweltmeisterschaften ist mir das kollektive Gefühl von Stolz, von Stolz auf Deutschland eher fremd. Es ist schwierig als Deutscher davon zu sprechen, immer hat man das Gefühl sich auf dünnes Eis zu begeben. Wahrscheinlich ist das auch ganz gut so, zu einfach lässt sich diese Haltung instrumentalisieren, ebenso wie auch heute wieder der Ruf "Wir sind das Volk!" unter ganz anderen, beschämenden Umständen wiederverwendet wird. Andererseits - vielleicht fehlt uns Deutschen heute auch zu oft dieses Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft, von Stolz auf das was wir erreicht haben nach dem Zweiten Weltkrieg, Stolz auf die offene Aufarbeitung und den bewussten Umgang mit dem historischen Erbe, uns fehlt der Stolz auf die Wiedervereinigung, auf die Meinungs- und Reisefreiheit, auf die Demokratie, auf unsere heutige Rolle in unserem europäischen Umfeld und die Tatsache dass wir wie selbstverständlich in einem sicheren, freien und wiedervereinigten Land leben dürfen.

Es ist an der Zeit, dass wir uns wieder mehr bewusst werden was wir in diesem Land schon gemeinsam geschafft haben, denn ein bisschen mehr Vertrauen und Zutrauen in die eigene Gesellschaft täte uns ganz gut - gerade dieser Tage möchte man meinen. Ist es nicht traurig, dass sich eine Kanzlerin, die sich als erste Reaktion ein bedingungsloses "Wir schaffen das!" auf die Fahnen schreibt, permanent gegen Kleingläubige, Skeptiker und Populisten wehren muss - sogar aus den eigenen Reihen? Was ist so falsch daran, im Wissen um das was wir schon geschafft haben nun die Probleme von heute anzugehen, nüchtern und überlegt, aber auch zuversichtlich und voller Energie? Warum kann man die Herausforderungen nicht zuallererst als Chance sehen?

Ich glaube Deutschland kann die sogenannte Flüchtlingskrise bewältigen. Ich glaube wir können uns die Offenheit erlauben, vielen anderen die Chance zu geben sich in unsere Gesellschaft und unser Wertesystem zu integrieren. Und ich bin froh, am 9. Oktober 2015 in Leipzig dabeigewesen zu sein, dort dieses Selbstbewusstsein und den Stolz auf das was wir vor 25 Jahren erreichten gespürt zu haben und zu sehen wie viele verschiedene Menschen aus allen Bereichen unserer heutigen Gesellschaft sich auch heute noch der Ideale und Werte von damals bewusst sind, und dass sie bereit sind dafür auf die Straße zu gehen.

"Marcia und Fatima"

"Nadine, Christian und Ilona"

"Jessica und Lukas"

"Carla und Peter"

"Rico und Marc"

"Carolin und Leonie"

"Louis und Lukas"

"Ceddi, Kolya und Doro"

"Werner"

"Laura, Max, Astrid, Rosi, Constanze und Stefan"

"Riddhi, Heena, Sukanya, Sophie und Tarum"

"Zuhir"

"Ute und Manfred"

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